Expeditionen

Die Frankfurter Himalaya Expedition 1955

© Institut für Stadtgeschichte / S1/486-19 I 48
Gruppenaufnahme von Bergsteigern und Trägern

Nachdem dem Neuseeländer Edmund Hillary und seinem Sherpa Tenzing Norgay am 29. Mai 1953 die legendäre Erstbesteigung des Mount Everest gelungen war, machte sich unter den erfahrensten Bergsteigern aller Welt der Ehrgeiz breit, einmal selbst den Fuß auf einen der höchsten Gipfel des bisher kaum erschlossenen Himalaya-Gebirges setzen zu können.

In Frankfurt fanden sich fünf erfahrene Mitglieder der Frankfurter Sektion des Deutschen Alpenvereins zusammen, die sich dieser großen Herausforderung stellen wollten. Diese Männer waren Reinhard Sander, von Beruf Justizreferendar am Regierungspräsidium in Darmstadt, der auch die organisatorische Leitung des Teams innehatte, Karl Kramer, der die bergsteigerische Führung übernehmen sollte, Eduard Reinhardt, der als Fotoamateur für die filmische Dokumentation zuständig sein sollte, Jochen Tietze und als Jüngster im Bunde mit 25 Jahren Reinhard Diepen.
Zur wissenschaftlichen Unterstützung wurden der Physiologe Dr. Walter Brendel, der zugleich als Expeditionsarzt fungieren sollte, sowie der Geophysiker Dr. Norbert Untersteiner gewonnen.

Dem endgültigen Projekt ging eine über einjährige Planung voraus. Als eines der wichtigsten Ziele der Unternehmung wurde die kartographische und geomorphologische Erkundung des Chogo-Lungma-Gebiets im Karakorum-Gebirge in Pakistan verkündet. Außerdem sollten physiologische Messreihen durchgeführt werden, die die Auswirkungen extremer Höhen von über 4.000 Meter auf den Organismus, Atmung und Stoffwechsel des Körpers erforschen sollten. Nachdem bei den bisherigen Himalaya-Expeditionen die bedeutendsten Achttausender bereits erklommen worden waren, konzentrierte sich das Frankfurter Team auf die Erstbesteigung des Pyramid Peak (7.027 Meter, auch „Spantik“ genannt), der wegen seiner hufeisenförmigen Plattform als der „schönste Gipfel“ galt. Ferner nahm man sechs Sechs- bis Siebentausender Berge, darunter den Haramosh (7.397 Meter) oder Makrong (6.346 Meter) oder Malubiting (7.459 Meter) ins Visier.

Nicht zuletzt wegen der umfangreichen wissenschaftlichen Gerätschaften kalkulierte man mit einem Gepäck von etwa vier Tonnen Gesamtgewicht und zusätzlichen 50 Aluminiumkästen. Für deren Transport zum Ausgangslager ging man von etwa 180 Trägern aus.

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Die Kosten für das Projekt waren zunächst auf 65.000 DM veranschlagt worden, mit wachsendem wissenschaftlichen Anspruch stiegen sie auf 80.000 DM an. Für die Akquise von Fördergeldern wurde im August 1954 eine umfassende Schrift herausgegeben, die detailliert über das nunmehr als „Frankfurter Himalaya-Expedition“ firmierende Unternehmen informierte. Darin verkündete Reinhard Sander den Anspruch: „So wird (...) der Name unserer Heimatstadt in die Welt getragen, Frankfurts Ruf und der Unternehmungsgeist seiner Bürger, die die Expedition fördern und ermöglichen, im In- und Ausland beachtet.“

Um dem Vorhaben eine größere Resonanz in der Bevölkerung zu geben, wurde im Februar 1955 ein Kuratorium gegründet, dem namhafte Mitglieder wie Oberbürgermeister Walter Kolb (Vorsitzender) und Oberbürgermeister a. D. Kurt Blaum (geschäftsführender Vorsitzender), der Hessische Ministerpräsident Georg August Zinn und Professor Boris Rajewsky vom Max-Planck-Instituts für Biophysik angehörten.
Als Beweis der Verbundenheit und des Stolzes der Heimatstadt Frankfurt mit dem Projekt überreichte der Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb zwei Tage vor der Abreise des Teams dem Expeditionsleiter Reinhard Sander die Fahne der Stadt Frankfurt, die „über Zeltlagern der Expedition wehen und (...) für den Unternehmungsgeist der Frankfurter Bergsteiger zeugen“ möge.

Beginnend mit der öffentlichkeitswirksamen Verabschiedung der Bergsteiger am Frankfurter Hauptbahnhof am 28. April 1955 bis hin zum Empfang im Römer am 28. September wurden alle Stationen des Unternehmens von der Presse ausführlich mitverfolgt. Dabei wurde teils auch aus den über Kurier, Eisenbahn und Luftpost regelmäßig eintreffenden Etappenberichten der Bergsteiger zitiert.

Die Medien berichteten auch über Reinhard Sanders frühzeitige Rückkehr nach Frankfurt. Er war bei der Erkundung des Haramosh-Gletschers in eine Gletscherspalte eingebrochen und hatte sich die Kniescheibe gebrochen. Er landete daher schon am 5. September am Frankfurter Flughafen. Die übrigen Männer kehrten am 24. September zurück.

Bei einem öffentlichen Empfang dankte Oberbürgermeister Walter Kolb für „die gute Arbeit“ der Männer“, die „dem Namen Frankfurts Ehre gemacht“ hätten. Als größten Erfolg konnte die „Frankfurter Himalaya-Expedition“ die Erstbesteigung des Spantik verzeichnen. Allerdings hatten auf dem Gipfel derart widrige Wetterverhältnisse geherrscht, dass die Männer die Fahne mit dem Frankfurter Stadtwappen nicht auf dem Gipfel justieren konnten und bereits nach zwei Minuten wieder absteigen mussten.

Original-Fahne
Original-Fahne der Stadt Frankfurt für die Himalaya-Expedition 1955
© Institut für Stadtgeschichte / S1/486-18

Diesem - für die Bergsteiger äußerst misslichen, aber für die Historie glücklichen – Umstand ist es zu verdanken, dass die Fahne dieses großartigen Unternehmens im Institut für Stadtgeschichte noch erhalten ist. Sie befindet sich im Nachlass Reinhard Sanders, der 2014 dem Institut für Stadtgeschichte übergeben wurde. Der Expeditionsleiter hatte an der Gipfelbesteigung übrigens nicht selbst teilnehmen dürfen, da ein Mann als Verantwortlicher für das Basislager zurückbleiben musste.
Gelungen war dem Team ferner die Erkundung zweier Sechstausender Berger am Chogo Lungma-Gebiet, außerdem hatte es umfassende glaziologische Messreihen durchführen können. Die Hoffnung auf die Ersteigung der höchsten Erhebung am Chogo Lungma Malubiting (7.459 Meter) hatte sich allerdings zerstoben, da man nach zweimaligen vergeblichen Versuchen wegen Schneestürmen und Hochgewitter auf über 6.000 Meter Höhe hatte aufgeben müssen.

Von diesem einmaligen Unternehmen sind 171 Original-Farbdias überliefert, die sich mit dem Nachlass Reinhard Sanders ebenfalls im Institut für Stadtgeschichte befinden. Die Dias sind erstaunlich gut erhalten und geben daher mit ihren faszinierenden Aufnahmen von verschneiten Berglandschaften, von Karawanen aus Trägern und Bergsteigern, von Szenen im Basislager oder von Porträtstudien der Natur-Einwohner der Himalaya-Region, die verschiedensten Facetten der Forschungsbergreise eindrücklich wieder.

Mit diesen beeindruckenden Bildern, etlichen Schriftdokumenten und nicht zuletzt der Fahne gibt der Nachlass Reinhard Sander umfassend und vielseitig Zeugnis von Frankfurts erstmaligem Vorstoß zu den Gipfeln des Himalayas.
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