© ISG FFM, Stadtplan von C.A. Ulrich, 1832
XWie die Frankfurter zu ihren Hausnummern kamen
Vor Jahrhunderten, als die Welt überschaubar war und sich diejenigen noch kannten, die an einem Ort zusammen lebten, waren Hausnummern, wie wir Heutigen sie kennen, überflüssig. Wenn die Häuser überhaupt gekennzeichnet waren, trugen sie einen Namen, wie in Frankfurt z. B. der Römer, das hiesige Rathaus. Alle Einwohner wussten, was gemeint war und wo das Gebäude lag.
Die Sache wurde schwieriger sobald die Städte an Einwohnern gewannen und sich ausdehnten. Fremde hatten es schwer sich zu orientieren. In Frankfurt gab es immer noch Hausnamen, gleichzeitig aber auch eine Kennzeichnung, die sich nach dem Quartier richtete, in dem das Haus lag.
Quartiere waren umschriebene Areale innerhalb der ummauerten Stadt, deren Einwohner zu gewissen gemeinsamen Diensten verpflichtet waren, z. B. der gemeinsamen Gefahrenabwehr wie etwa der Feuerbekämpfung. Die Einrichtung der Quartiere war Resultat des sog. Fettmilch-Aufstandes 1614, als rebellierende Handwerker den Rat in höchste Bedrängnis brachten. Mit Hilfe der unter einem Bürgerkapitän organisierten Quartiersbewohner sollten solche Unruhen schneller und effektiver bekämpft werden können.
Im siebenjährigen Krieg (1756-63) war Frankfurt, obwohl neutral, von französischen Truppen ab 1759 besetzt. 1761 ließ der Leiter der französischen Zivilverwaltung, der bei Goethes Vater einquartierte Graf Thoranc, ein System der Kennzeichnung der Häuser einführen, um sich besser zurecht zu finden. Grundlage waren die Quartiere, von denen zwölf auf Frankfurter Seite, zwei in Sachsenhausen lagen. Sie waren bezeichnet mit den Buchstaben des Alphabetes im Osten anfangend und gegen den Uhrzeiger laufend. Innerhalb der Quartiere wurden alle Häuser durchgezählt. Eine Hausanschrift setzte sich dann aus einem Großbuchstaben und einer arabischen Zahl zusammen. Goethes Geburtshaus trug z. B. die Bezeichnung F 74.
Vor den Toren bezogen sich die Liegenschaften auf die Gewanne, die mit römischen Zahlen belegt waren. Die Grundstücke trugen dann die Nummer des Gewanns, und eine arabische Zahl für die genaue Parzelle. Geteilte Grundstücke erhielten die ursprüngliche Benennung des Gesamtgrundstückes, ergänzt um einen Kleinbuchstaben. Weitere Teilungen bekamen eine Zahl nach dem Buchstaben.
Als ab 1804 die Befestigungsanlagen nieder gelegt wurden, entstanden neue Baugebiete entlang den Wallstraßen. Schon am Ende des 18. Jahrhunderts war mit dem Fischerfeld neues Baugelände erschlossen worden. Diese neuen Grundstücke wurden den benachbarten Quartieren zugeschlagen und mit römischen statt der arabischen Zahlen versehen.
Das System der Literanummerierung (nach lat. Littera = Buchstabe) erwies sich von Anfang an als nicht sonderlich praktisch, weil bei längeren Straßen, die mehrere Quartiere berührten, die Nummer eines Hauses mehrfach auftreten konnte. Auch in der Landwirtschafts- und Gartenzone vor den ehemaligen Wällen ließ sich die Lage einer Liegenschaft nur ungefähr erahnen.
Auf Drängen der Bevölkerung beschloss der Senat am 14.10.1845 die Nummerierung nach der bis heute gültigen Weise einzuführen. Nachdem diese Art der Gebäudekennzeichnung 1805 in Paris etabliert worden war, diente sie vielen Kommunen in Europa als Vorbild. Umgesetzt wurde das Vorhaben in der Zeit von Juli bis Oktober 1847. In der städtischen Verwaltung galten weiter die alten Bezeichnungen nach Quartieren und Gewannen, weil die Grundbücher seit vierzig Jahren auf diese Weise geführt wurden.
Die Nummerierung geschah nicht beliebig, vielmehr bildete der Main die Basis. Parallell zum Fluss verlaufende Straßen zählten im Osten beginnend mit der Fließrichtung des Wassers, die Häuser trugen rote Nummern, senkrecht vom Main abgehende Straßen begannen am Main mit der niedrigsten Nummer auf blauem Schild.
Eine zeitgenössische Konkordanz des alten und neuen Systems lieferte dafür gleich eine anschauliche Begründung: „Der Fremde wird, mit diesem einmal bekannt, zu jeder Zeit wissen, in welcher Richtung nach dem Flusse er sich befindet. Ist er z. B. auf der Allerheiligenstrasse und geht den zunehmenden r o t h e n Nummern nach, so wird der ans westliche Ende der Stadt kommen; biegt er in eine Seitenstrasse links ein und folgt den abnehmenden b l a u e n Nummern, so gelangt er gewiss an den Main und umgekehrt“ (Krug, Die Hausnummern zu Frankfurt am Main, Frankfurt 1850, S. IV). Eine Ausnahme bilden die großen Landstraßen, die jeweils am Stadtkern mit der Zählung beginnen. Eine weitere Besonderheit bilden die nur einseitig bebauten Straßen, die nicht wie die übrigen eine Seite mit geraden und ungeraden Hausnummern haben. Hier werden die Gebäude nicht wechselseitig, sondern komplett durchgezählt, wie z. B. die Anlagen, Mainkai und Schöne Aussicht.
Heutzutage regeln Richtlinien die Modalitäten der Nummernvergabe und –anbringung. Änderungen der Nummerierung wie auch neue Straßennamen werden in den Mitteilungen der Stadtverwaltung bekannt gegeben. Die Unterscheidung nach blauen und roten Hausnummern ist schon bald nach den zahlreichen Eingemeindungen des beginnenden 20. Jahrhunderts aufgegeben worden.
Die äußere Erscheinung einer Stadt, zumal die von Frankfurt, unterliegt einem stetigen Wandel. Die sich ändernden Kennzeichnungen von Gebäuden, lassen die Veränderungen im Stadtgefüge auch auf Plänen gut nachvollziehbar werden. In der jüngeren Vergangenheit führten die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges zu gewaltigen Veränderungen gerade in der Innenstadt, wo ganze Straßenzüge verschwanden.
Am Beispiel der Zeil ist abzulesen, wie innerhalb von einhundert Jahren die Anschrift eines Hauses mehrfach wechseln konnte. 1832 endete die Zeil an der Konstabler Wache. 1881 wurde die Zeil im Zuge der Stelzengasse durch bestehende Bausubstanz bis zum Anlagenring verlängert. Zeil und Neue Zeil erhielten eigenständige Hausnummern. 1910 folgte eine durchgehende Nummerierung beginnend im Osten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Zeil nach Süden hin verbreitert. Dort änderten sich im Bereich der mittleren Zeil nochmals die Hausnummern und die Konstabler Wache entstand als Platz.
Wer also die Geschichte seiner Vorfahren erforschen oder wissen will, wer wann ein bestimmtes Haus bewohnte, muss immer die Adresse der betreffenden Zeit im Blick haben und kann nicht notwendigerweise von der heutigen Anschrift ausgehen.
Text: Klaus Rheinfurth