© ISG FFM, Foto: U. Dettmar
XNordweststadt
Zwar war die Nachkriegsnot lange überwunden und die zerstörten Wohnungen weitestgehend aufgebaut, dennoch blieb die Wohnungsnot in der Stadt in den 1960ern hoch. Dazu trug bei, dass die Stadt weiterwuchs:
1960 gab es gut 670000 Einwohner, Mitte der 1960er Jahre schon beinahe 690000 – zunächst ein Höchststand, diese hohe Zahl wurde erst wieder vor wenigen Jahren erreicht. Auch der allmählich steigende Wohlstand führte zu höherem Wohnraumbedarf, weckte er doch bei vielen Mietern den Wunsch, eine größere Wohnung zu beziehen oder rückte sogar den Traum vom Eigenheim in greifbare Nähe.
Die Stadtplaner in den Großstädten der BRD (und auch in anderen Ländern) reagierten auf den steigenden Bedarf mit der Entwicklung von Schlafstädten auf der grünen Wiese, die mit dem eigenen PKW oder dem ausgebauten ÖPNV erreicht werden konnten. Bekannte Beispiele sind Bielefeld-Sennestadt oder die Gropiusstadt in Berlin, Köln-Chorweiler oder Neuperlach bei München; zweifelhafte Berühmtheit haben auch die Pariser Banlieues bekommen, hier zeigt sich besonders deutlich, welche sozialen Problemlagen sich in Trabantenstädten entwickeln können.
In Frankfurt entstand in den 1960ern die Trabantenstadt „Nordweststadt“, deren Konzept schon in den 1950ern entwickelt wurde. Stadtbaurat Ernst Kampffmeyer entwarf zusammen mit seinem Mitarbeiter Erhard Weiss eine Siedlung zwischen Praunheim, Niederursel, Heddernheim und Römerstadt für 25.000 Menschen. „Nordweststadt“ war nur ein Arbeitstitel, eigentlich sollte der Stadtteil nach der Fertigstellung nach der römischen Siedlung „Nida“ benannt werden, doch Nordweststadt setzte sich durch. 1959 wurde ein bundesweiter Wettbewerb ausgelobt. Trotz 66 Einreichungen kürte die Jury um Ernst May keinen Sieger. Mit dem dritten Preis wurde ein Vorschlag von Walter Schwagenscheidt und Tassilo Sittmann ausgezeichnet, die auch den Zuschlag für den Siedlungsbau erhielten.
Walter Schwagenscheidt war schon Ende der 1920er Jahre unter Ernst May im Rahmen des „Neuen Frankfurt“ als Architekt aktiv gewesen. 1949 formulierte er schon seine Idee einer „Raumstadt“, die er dann mit der Nordweststadt in den 1960ern verwirklichte: Häuser sollten im Karree auf der grünen Wiese gruppiert und zur Sonne ausgerichtet werden, umgeben von Grünanlagen. Wohnen und Verkehr wurden getrennt: Autos kamen und kommen über schleifenartige Sammelstraßen in die Siedlung, für Fußgänger wurden Tunnel und Brücken gebaut. Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Behörden, Sozialstationen und weitere Infrastruktur wurden in der Mitte in drei Nebenzentren und einem Hauptzentrum konzentriert. Die Nordweststadt sollte gerade keine „tote“ Schlafstadt werden, sondern ein durchmischtes, lebenswertes Viertel mit einer funktionierenden Infrastruktur und genügend Flächen zur Erholung. Das ist wie in anderen Großsiedlungen auch nur bedingt gelungen, entwickelte doch auch die Nordweststadt ihre eigene soziale Dynamik, die maßgeblich damit zusammenhing, dass vor allem Wohnhochhäuser gebaut wurden. Die meisten der 7000 Wohnungen wurden von Wohnungsbaugesellschaften im Sozialen Wohnungsbau errichtet und waren überwiegend Dreizimmerwohnungen. Ergänzt wurde die Großsiedlung aber auch um 600 Eigenheime.
Die Bauarbeiten begannen im Juli 1961 und schon im Herbst 1962 zogen die ersten Mieter*innen ein. Die Infrastruktur hinkte hinterher: Die Wege waren zunächst schlammig und noch nicht befestigt, Straßenübergänge ungesichert, die U-Bahn verband erst ab dem 4. Oktober 1968 die neue Großsiedlung mit der Hauptwache. Einkaufsmöglichkeiten kamen erst allmählich. Mit der U-Bahn wurde auch das Nordwestzentrum als größtes Einkaufszentrum der neuen Siedlung eröffnet. Es beherbergte zunächst nicht nur Geschäfte, sondern war als Stadtteilzentrum gedacht mit kulturellen Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, einem Ärztezentrum, einer Sozialstation, Kindergarten, Jugendclub, Hallenbad, Einwohnermeldeamt, Stadtbücherei und Feuerwehrstation.
Ebenso wie die gesamte Nordweststadt kämpfte auch das Nordwestzentrum schnell mit einem schlechten Image: Leerstand, Kriminalität, Verwahrlosung und hohe Fluktuation der Geschäfte waren die Probleme. Es wurde 1985 an einen Investor verkauft und eröffnete nach vierjährigem Umbau als reines Einkaufszentrum. Der ursprünglich freie Platz wurde überdacht.
Zum Schulbau in der Nordweststadt siehe unseren Beitrag über die Ernst-Reuter-Schule.
Projektbezug
Ausstellung: Bewegte Zeiten: Frankfurt in den 1960er Jahren