© ISG FFM, V 14/2: Teilnehmer-Karte zur Feier des Stiftungsfestes 1914
XZoogeschichte(n): Aus den Protokollen des Vereins für naturwissenschaftliche Unterhaltung
Der Verein für naturwissenschaftliche Unterhaltung, scherzhaft „Käwwernschachtel“ genannt, existierte in den Jahren 1859 bis 1974. Das umfangreiche Vereinsarchiv beinhaltet die handgeschriebenen Protokollbände seit der Vereinsgründung, Statuten, Mitgliederlisten, Fotos sowie die selbst geschriebenen Theaterstücke und ist in der Archivdatenbank des Instituts verzeichnet und einsehbar.
Vor allem für die Geschichte der Naturwissenschaften in Frankfurt ist das Archiv eine reiche Fundgrube, da zahlreiche Wissenschaftler, Ärzte, Lehrer, der eine oder andere Stadtgärtner sowie Direktoren des Palmengartens bzw. des Zoologischen Gartens Mitglied in der Käwwernschachtel waren. Im folgenden Beitrag sollen die Beziehungen zum Frankfurter Zoo anhand zahlreicher chronologischer Einträge in den Protokollen genauer unter die Lupe genommen werden.
Der Verein für naturwissenschaftliche Unterhaltung wurde am 18.01.1859 gegründet. Als Gründungsmitglieder sind Leutnant Alexander von Hohmeyer, der auch zum ersten Präsidenten gewählt wurde, der Privatgelehrte Louis Gemmers, der Rentier Ferdinand Dickins, der Verwalter der Von Guaita-Stiftung und Entomologe Gottfried Mühlig, der Kaufmann David Friedrich Heynemann sowie der Konservator Heinrich Leven genannt.
Ziel dieser Vereinsgründung war es nicht, in Konkurrenz zu der 1817 gegründeten Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft zu treten, vielmehr versuchten die Gründer eine Ergänzung zu erreichen mit einer „durchaus harm- und zwanglose Unterhaltung über Fächer, mit welchen sich zu befassen ihnen meist nur nach des Tages Streben die Muße blieb“. Naturwissenschaftliche Kenntnisse sollten in zwangloser Unterhaltung mit Gleichgesinnten „auf gemüthliche Art“ erworben und erweitert werden (Siehe: Ansprache an den Verein f. Naturwissenschaftliche Unterhaltung zu seiner 25. Jahrfeier am 19.01.1884 von David Friedrich Heynemann, V 14/ 69).
Bereits in der ersten Sitzung legt der Mitbegründer und Ornithologe Alexander von Homeyer ein „erst vor mehren Stunden gelegtes Ei“ eines im Zoologischen Garten befindlichen Straußes [in Bleistift ergänzt Emu] vor und spricht über das „eigenthümliche Benehmen der Strauße“ vor Legung des ersten Eis.
Auch auf andere Art war der Verein dem 1858 eröffneten Zoologischen Garten eng verbunden: so ist das Gründungsmitglied Heinrich Leven wahrscheinlich ein Bruder oder Sohn von Franz Leven, der der erste Direktor des Frankfurter Zoos war. Beispielweise wird in der 7. Sitzung des Vereins ein Direktor Leven als Gast im Protokoll genannt. Franz Leven war ausgebildeter Konservator bzw.Tierpräparator und in Frankfurt durch sein am 29.08.1857 eröffnetes Leven´sches zooplastisches Cabinett bekannt, das bis November 1861 in Frankfurt ansässig war. Er blieb nur kurze Zeit, nämlich von der Eröffnung am 8.08.1858 – 17.09.1859 Direktor des Zoos, und musste nach Streitigkeiten mit dem Verwaltungsrat Platz für seinen weitaus bekannteren Nachfolger Dr. Maximilian Schmidt machen.
Wenig bekannt ist auch, dass Franz Leven Ende 1871 von München nach Frankfurt zurückkehrte. Er eröffnete sein zooplastisches Museum auf dem alten Standort des Zoologischen Gartens an der Bockenheimer Landstraße neu, das Gelände samt Museum musste allerdings Anfang 1880 zwangsversteigert werden, da Leven aufgrund einer Krankheit die vereinbarten Raten an die Stadt nicht mehr zahlen konnte (Aus: ISG FFM, MA U 1.372).
In den folgenden Jahren werden in den Protokollen nur hin und wieder Nachrichten aus dem Zoologischen Garten berichtet, meisten Vögel betreffend. Das ändert sich erst mit der Eröffnung des Zoologischen Gartens am neuen Standort an der Pfingstweide und dem Beitritt des Kustos des am 16. Juli 1877 eröffneten neuen Aquariums, Herrn Terne, als Mitglied der Käwwernschachtel. Von nun an werden fast in jeder Sitzung Nachrichten betreffend das Aquarium sowohl durch Terne als auch das Vereinsmitglied Dr. Friedrich Carl Noll mitgeteilt (Protokolle siehe ISG FFM, V 14/35-47):
18.07.1877: Das Wahlresultat ergibt, dass Herr Terne einstimmig aufgenommen ist. Herr Dr. Noll teilt mit, dass heute ein Transport Seepferdchen aus Triest angekommen sei. Die kühlen Temperaturen seien den Tieren wohl zu statten gekommen. Unter den angekommenen Tieren befanden sich einige Männchen, welche auf der Reise einen Teil der im Brustbeutel getragenen Jungen abgegeben hatten. Viele der jungen zarten Tierchen waren bis zur Ankunft zugrunde gegangen. Herr Referent zeigt eine Anzahl derselben in Spiritus. Das junge Seepferdchen kommt schon recht weit zur Welt. Der Bauch ist vollständig geschlossen, die Augen sind groß, die Rückenflosse steht steif in die Höhe. Die Dotterblase ist vollständig verschwunden.
02.10.1877: Herr Dr. Noll berichtet über den großen Karpfen, welcher sich bisher im hiesigen Aquarium befand und vor einigen Tagen mit Tod abgegangen ist. Derselbe war von den Fischhändlern Gebrüder Schauermann dahier 38 Jahre lang in einem Fischkasten gehalten worden, war in Folge des Lichtmangels bleich, erfreute sich aber durchaus guter Gesundheit. Der Karpfen, ein sog. Spiegelkarpfen, war ein Weibchen. Er fraß täglich circa ½ Pfund Fischfleisch und dazu noch Weizen oder andere Körner. Seine Länge betrug 67,5 cm, der Umfang 59,8 cm, sein Gewicht 18 ½ Pfund. Bei Eröffnung des hiesigen Aquariums wurde der Karpfen diesem übergeben. In der ersten Zeit befand er sich auch hier wohl, bald jedoch bildete sich ein großes Geschwür an der Bauchseite, das nicht wieder verschwand. Er starb, wie oben bemerkt, vor einigen Tagen. Die Untersuchung der Kiemen zeigte, dass dieselben felderweise mit einem dicken, fleischigen Polster belegt waren, aus dem lange Fäden hervorragten. Durch diese Masse waren die Kiemenränder verklebt, die Atmung hierdurch gehemmt und schließlich der Tod eingetreten. Herr Dr. Noll bemerkt: die Untersuchung der schwammigen Masse zeigte, dass dieselbe aus einem sehr fruchtbaren Pilz, Saprolegnia ferax, bestand.
09.10.1877: Herr Dr. Noll theilt mit, dass die Behandlung der Süßwasserfische im hiesigen Aquarium mit Kochsalz von bestem Erfolg begleitet gewesen sei. Fische, die mit der verderblichen Saprolegnia behaftet waren, sind von ihrem Feinde vollständig befreit worden.
07.05.1878: Herr Terne hat im hiesigen Aquarium das Fressen der Seegurke, Cucumaria, genau beobachtet. Die größeren Fühler ergreifen die Nahrungsstoffe, biegen sich dann über die Mundöffnung. Die zwei kleineren Fühler streichen dann über die eingebogenen größeren und stoßen dadurch die Beute in die Mundöffnung. Das Fressen dauert ohne Unterbrechung Tag und Nacht 4 bis 5 Tage, worauf dann eine mehrtägige Ruhe stattfindet.
Diese Einträge belegen, dass über den Verein Kontakte zwischen den naturwissenschaftlichen Institutionen in Frankfurt gepflegt wurden und zustande kamen: Dr. Noll war Mitglied der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft und unternahm in deren Auftrag einige Forschungsreisen. Offensichtlich waren er und später ein weiteres Mitglied des Vereins als Tierärzte im Zoologischen Garten tätig und führten auch die Sektion verendeter Tiere durch, so wanderte der in den Einträgen erwähnte Karpfen als Skelett in die Sammlung des Senckenberg Museums. Auch ein Känguru ist wohl auf diesem Weg in die Sammlungen des Museums gelangt:
21.02.1906: Herr Prof. Cahn legt ein weißes Tuch vor, dass die Abfärbung der roten Kehle eines erwachsenen Männchens des roten Riesenkängeruhs zeigt. Gleichzeitig teilt er mit, dass er die westaustralischen Riesenkängeruhs als neue Form unter dem Namen „Macropus rufus occidentalis“ beschreiben wird, als dessen Typus ein aus dem Zoologischen Garten ins Museum gelangtes Weibchen betrachtet werden kann.
Aber auch eher triviale Beobachtungen werden in den Protokollen mitgeteilt:
29.10.1878: Herr Oberlehrer Dr. Finger hat beobachtet, wie der afrikanische Elefant unseres zoologischen Gartens einem Knaben die rote Mütze, die derselbe auf dem Kopf trug, zornig raubte und zerriss. Er knüpft daran die Frage, ob vielleicht der Elefant ähnliche Abneigung gegen die rote Farbe besitze, wie die Truthühner und die Stiere. Hierzu bemerkt Herr Dr. Richters, dass er beobachtet habe, wie der Elefant auch andere Gegenstände in derselben Weise behandelt habe.
06.09.1911: Auf eine Anfrage berichtet Herr Hass über den sprechenden Hund „Don“, der vor ausgewähltem Publikum im Zoologischen Garten seine Sprachkünste zeigte. Dieser große Jagdhund ist furchtbar fett. Am deutlichsten spricht er die Worte „Kuchen“ und „Ruhe“; andere Worte wie „haben“ und „Hunger“ recht undeutlich.
Im Jahr 1885 tritt erstmals ein Direktor des Zoologischen Gartens dem Verein bei. Dr. Ludwig Wunderlich ist während seiner Zeit als wissenschaftlicher Direktor 1885-1888 Mitglied und wechselte dann als neuer Direktor an den Zoo in Köln. Auch durch seine Beiträge in den Protokollen erhalten die Benutzer Einblicke in die damalige Arbeitsweise der Zoologischen Gärten und das manchmal traurige Schicksal insbesondere der Menschenaffen:
07.07.1886: Direktor Dr. Wunderlich macht die Mitteilung, dass der Zoologische Garten einen ca. 7 Monate alten Gibbon (Hylobates leuciscus) erworben habe. Derselbe wurde in Singapore, nachdem er längere Zeit mit seiner Mutter beobachtet und letztere getötet worden war, eingefangen und nach Wiesbaden verbracht. Er misst ca. 40 cm mit hochgereckten Armen und zeichnet sich besonders durch seinen aufrechten Gang aus.
04.10.1893: Herr Dr. Knoblauch liest eine Mitteilung aus dem Generalanzeiger vom 5. October über den gemütvollen Orang-Utan vor. Der Letztere war vor einigen Wochen im hiesigen Zoologischen Garten eingetroffen, verweigerte aber hartnäckig sein in genügender Menge mitgesandtes Lieblingsfutter, sodaß er schließlich am Hungertode starb. Da die vorgenommene Sektion keinerlei Krankheit, welche als Todesursache hätte gelten können, ergab, so steht nichts der Annahme entgegen, dass das Tier an einer psychischen Krankheit und zwar an Melancholie, welche in ihrem klinischen Verlauf der Melancholie des Kindesalters entspricht, zu Grunde gegangen ist.
Seit November 1900 ist außerdem Prof. Dr. Ernst Marx, Begründer des Robert-Koch-Instituts und Ehrenpräsident der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, Mitglied der Käwwernschachtel. Auch er seziert wie Noll im Zoologischen Garten verendete Tiere und macht den einen oder anderen Versuch mit lebenden Tieren:
04.05.1910: Herr Marx berichtet über Versuche, die er im Zoologischen Garten mit Yohimbin vorgenommen hat. Das Yohimbin gehört zu den stärksten Aphrodisiaka. Während andere sexuelle Reizmittel, wie spanische Fliegen, reizend auf die Schleimhäute wirken, wirkt das Yohimbin gleichzeitig auf die Keimdrüsen und das erogene Zentrum im Nervensystem und bewirkt so gleichzeitig eine Erhöhung der Potenz und der Libido. Die Versuche wurden beim Puma vorgenommen, wo sie die vorausgesetzte Wirkung hatten. Sie werden jetzt beim Babyrussa (Hirscheber) und anderen Tieren fortgesetzt.
Am 10. Juli 1907 tritt Dr. Kurt Priemel, Direktor des Zoologischen Gartens von 1908 bis 1938, dem Verein bei. Ab diesem Zeitpunkt finden sich regelmäßig die neuesten Nachrichten aus dem Zoo in den Protokollen, sowohl was die Ankunft neuer Tiere im Zoo, die Aufzucht aber auch die Zeit des Ersten Weltkrieges betrifft:
27.10.1909: Herr Priemel berichtet über die Aufzucht des jungen, afrikanischen Doppelnashorns. Das Tier wurde am 4. August von Mobassa geliefert u. kam am 24. in Frankfurt an, wog damals 89 Kilo und hatte eine Länge von 1,32 m. Das Tier war bei der Ankunft hautkrank. Die Haut war borstig, rissig und hatte blutende Schorfe. Eine Behandlung mit Kreolin, Salicylvaseline, essigsaure Tonerde und Zinkpaste gaben ihm in kurzer Zeit wieder eine glatte Haut. Auch die Nahrung wurde gewechselt. Auf der Reise war das Tier mit Condenzmilch, Maismehl und Zucker genährt worden, hier ging man zu einer Nahrung aus frischer Milch, Hafermehl und Krystallzucker mit Beifügung von etwas phosphorsaurem Kalk über. Unter dieser Pflege nahm das Tier schon zu, es wog am 24.iX. 99,5 kg und am 24.X. 11 kg. Seine Länge im Stockmaß war in dieser Zeit auf 134,5 cm gestiegen, das Vorderhorn wuchs von 3,5 auf 4,5 cm. Der Vortragende ließ ferner einige Photographien und einen Gipsabdruck des Horns zirkulieren.
22.08.1917: Herr Dr. Priemel spricht über verschiedene Kriegsveranstaltungen im Zoologischen Garten. Schon früher ist eine Ziegen-, Kaninchen- und Hühnerzucht eingerichtet worden. Jetzt ist im früheren Einhuferhaus die 7. städtische Milchwirtschaft untergebracht worden, gleichzeitig ein Musterstall. Es ist ein Holländer „Bille“ eingestellt worden und 24 Kühe, darunter Simmentaler, Schwyzer, Rotschecken, ostfriesische und holländer Schwarzschecken. Der Milchertrag ist relativ gut, kommt aber bei dem geringen Futter an den normalen Ertrag nicht heran. Im Insektenhaus befand sich im Frühjahr eine kleine Seidenraupenzucht, später eine Sammlung von Schädlingen und einheimischen wilden Nutzpflanzen. Jetzt enthält das Haus eine Sammlung von Pilzen. Schließlich ist im Garten jede verfügbare Stelle mit Nutzpflanzen besetzt, darunter Hirse, der die Sperlinge aber sehr stark nachstellen, Reis und Mais, dessen Kolben in ca. ¾ reifem Zustande von Affen und Papageien gerne genommen werden. Weiterhin berichtet Herr Priemel über das höchst lästige Überhandnehmen der Ratten im Zoologischen Garten und deren Bekämpfung mit Schlagfallen, da Gift und Bakterien im Garten wegen der Käfigtiere nicht verwendet werden.
Das 100. Stiftungsfest des Vereins für naturwissenschaftliche Unterhaltung, 1959 im Palmengarten gefeiert, nahm wegen Priemel einen tragischen Ausgang: der 79-jährige starb kurz vor dem Ausgang des Palmengartens, wo ihn ein Taxi erwartete, an einem Herzschlag. Im Jahr 1962 wurde das letzte neue Mitglied in den Verein aufgenommen, nach 1971 schlief der Verein langsam ein, die formelle Auflösung erfolgte 1974.
Text: Claudia Schüßler