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XTäter vor Gericht: Auschwitzprozess
Frankfurt war in den 1960ern Schauplatz eines wegweisenden Gerichtsverfahrens, das eine Kehrtwende in der deutschen Vergangenheitsbewältigung markierte. Vom 20. Dezember 1963 bis 20. August 1965 fand vor dem Landgericht Frankfurt der 1. Auschwitzprozess statt.
In der BRD herrschte bis weit in die 1960er Jahre hinein eine „Schlussstrich-Mentalität“ gegenüber den NS-Verbrechen. Auch wenn die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet waren, die von Deutschen begangenen Verbrechen zu ahnden, blieben die im Vernichtungslager Auschwitz verübten Massenmorde bis Anfang der 1960er Jahre überwiegend ungestraft.
Eine erste Wende im Umgang mit den Verbrechen während der NS Zeit markierte 1958 die Einrichtung einer „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen“ in Ludwigsburg. Doch gerade die Vorgeschichte zum Ausschwitzprozess zeigt, wie unzureichend und von Zufällen abhängig die Strafverfolgung noch war, war es doch nicht eine westdeutsche Staatsanwaltschaft, die planvoll Ermittlungen anstellte, sondern die Initiative von Überlebenden, die dafür sorgte, dass die Untersuchungen aufgenommen wurden.
1958 zeigte ein ehemaliger Auschwitz-Häftling Wilhelm Boger, ehem. Mitglied der Lagergestapo, bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart an. Zweitens wurden die Ermittlungen in Gang gesetzt durch die privaten Recherchen des FR-Redakteurs Thomas Gnielka. Dieser übermittelte dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer 1959 Dokumente aus dem Besitz des ehemaligen Auschwitz-Häftlings Emil Wulkan mit Listen von auf der Flucht erschossenen Insassen und Namen von Verantwortlichen.
Fritz Bauer (1903-1969), hessischer Generalstaatsanwalt seit 1956 und als Jude und Sozialdemokrat selbst Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, nahm eine Schlüsselrolle in der Aufarbeitung und Verurteilung der NS-Verbrechen ein. Er erreichte, dass dem Frankfurter Landgericht die Zuständigkeit für die Untersuchung aller Fälle übertragen wurde. Beharrlich trieb er mit einem Team Frankfurter Staatsanwälte umfassende und jahrelange Vorermittlungen voran, in denen hunderte von Zeug*innen aufgespürt wurden.
Der Prozess begann am 20. Dezember 1963 zunächst im Römer und wurde ab dem 3. April 1964 dann im neu gebauten Bürgerhaus Gallus fortgesetzt. Es wurde das bis dahin längste deutsche Schwurgerichtsverfahren mit 183 Verhandlungstagen, 356 Zeug*innen und 50 Vernehmungsprotokollen. Die Aussagen waren für die Zeug*innen in höchstem Maße belastend. Sie konfrontierten nicht nur das Gericht, sondern die westdeutsche Gesellschaft mit Taten, deren beinahe unvorstellbare Grausamkeit bisher in der Nachkriegsgesellschaft weitestgehend verdrängt worden waren.
Hauptangeklagter war Lageradjutant Robert Mulka. Weitere Angeklagte waren der Lageradjutant Karl Höcker, ein Schutzhaftlagerführer, SS-Ärzte, ein SS-Apotheker, ehemalige Mitglieder der Lagergestapo, darunter auch Wilhelm Boger, Blockführer, ein Arrestaufseher, ein Verwaltungsangehöriger und ein Funktionshäftling. Die Täter leugneten die im Prozess geschilderten Greueltaten nicht, zeigten jedoch keine wirkliche Reue, stritten eine eigene Beteiligung ab oder verwiesen, wenn dies aufgrund der Beweislast nicht möglich schien, auf ihre Pflichterfüllung und ihre Rolle als Befehlsempfänger. Am 19. und 20. August 1965 verkündeten die Richter das Urteil: Sieben Angeklagte wurden wegen Mordes oder gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslangen Zuchthausstrafen (bzw. in einem Fall zu einer zehnjährigen Jugendstrafe) verurteilt. Ihnen konnte neben der Beteiligung am gemeinschaftlichen Massenmord nachgewiesen werden, dass sie aus eigener Initiative, aus niedrigen Beweggründen und auf grausame und heimtückische Weise Menschen getötet hatten. Zehn Angeklagte wurden der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in mindestens 28.910 Fällen schuldig gesprochen. Ihnen wurde zur Last gelegt, dass sie verbrecherische Befehle befolgten und sich gemeinschaftlich an einem Massenverbrechen beteiligt hatten, obwohl sie genau um die Rechtswidrigkeit der Befehle wussten und die Mitwirkung nicht aus einer Notstandslage heraus geschah. Das Strafmaß reichte von drei Jahren und drei Monaten bis hin zu 14 Jahren. Drei Angeklagte wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Die symbolische Wirkung des Prozesses war hoch. Der Prozess wurde von 20.000 Personen besucht. Eine flankierende Ausstellung in der Paulskirche hatte 88.000 Besucher*innen. Das Medienecho in der BRD war enorm. Die meisten der Zeugenaussagen wurden auf Tonband mitgeschnitten und insgesamt 430 Stunden Material überliefert; diese einzigartige und für die Forschung ungeheuer wichtige Quelle ist seit 2018 UNESCO-Weltdokumentenerbe.
Tondokumente und schriftliche Quellen, erläuternde Texte und Materialen zum Prozess finden sich auf der Website http://www.auschwitz-prozess.de/ [hrsg. vom Fritz Bauer Institut in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden und der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv (DRA)]
Projektbezug
Ausstellung: Bewegte Zeiten: Frankfurt in den 1960er Jahren